„53 Drogentote sind 53 Verstorbene zu viel“
Gründe für diese Forderungen liegen laut Margot Wagenhäuser, Leiterin des Therapieverbund Sucht der Caritas, auf der Hand. 53 Menschen verstarben im vergangenen Jahr in München an den Folgen von Drogenkonsum: „53 Drogentote sind 53 Verstorbene zu viel“, betont sie. Neben Drogenkonsumräumen bräuchten Menschen besonders im ländlicheren Raum besseren Zugang zur Substitution. Wagenhäuser warnt vor den Folgen einer solchen Vernachlässigung: „Die schlechte Versorgungslage mit Substitutionsprogrammen im ländlichen Raum führt dazu, dass diese Menschen zu anderen Substanzen greifen.“

Erstmals ein Grußwort der Bürgermeisterin
Wissenschaftlichkeit statt Ideologie
Drogenpolitik brauche Expertentum und Wissenschaftlichkeit, meint Jörg Gerstenberg von prop e.V. Was in der Coronakrise zum Usus wurde, sei in der Drogenpolitik jedoch noch nicht angekommen. Viel mehr ginge es hier noch um ideologische Debatten. Zusätzlich zu flächendeckender Substitution und Konsumräumen fordern Suchthilfeträger also auch die etwa in der Schweiz bereits erprobte Maßnahme des Drugchecking. Druckchecking ist die Möglichkeit, straffrei Drogen auf ihre Inhalte, Wirkstoffgehalte und mögliche Verunreinigungen testen lassen zu können. Besonders für jüngere Konsument*innen, die häufig auf synthetische Drogen umsteigen, sei Drugchecking ein potentieller Lebensretter, betont Klaus Fuhrmann.
„Ich möchte euch alle hier nächstes Jahr wieder sehen!“
Sichtlich emotional verliest Angelika May-Norkauer von prop e.V. die 53 Vornamen der im vergangenen Jahr verstorbenen Drogengebraucher*innen. Ob selbst Konsumierende*, Angehörige oder Sozialarbeiter*innen in der Suchthilfe – viele der Namen sind den am Marienplatz versammelten Menschen bekannt. Hinter den politischen Forderungen steckt die jahrelange Erfahrung, welche Auswirkungen Marginalisierung auf Drogengebraucher*innen hat. Jörg Gerstenberg prangert den oft gefühlten Zynismus in der Drogendebatte an: „Es steht einer offenen und humanen Gesellschaft nicht an, so über Menschen zu reden. Jedes Leben zählt!“ Nach Ende einer Schweigeminute wendet sich Olaf Ostermann, Stellvertretender Bereichsgeschäftsführer bei Condrobs e.V., an die versammelten Drogengebraucher*innen: „Passt auf euch auf. Ich möchte euch alle hier nächstes Jahr wieder sehen!“ Er weiß, viele Drogentode könnten er und seine Mitarbeiter*innen mit einem Umschwung in der bayerischen Drogenpolitik verhindern.

Maskenpflicht, Abstandsmarkierungen und Co hielten uns jedoch nicht davon ab, mit unseren Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen, Präsenz zu zeigen und jedem Verstorbenen* eine Stimme zu geben. Nach vorangegangenen Überlegungen ob und wie man in diesem Jahr überhaupt eine Veranstaltung abhalten kann, sehen wir nun dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Zum ersten Mal hielt eine Bürgermeisterin Münchens das Grußwort und zeigte sich dabei den Betroffenen, uns Mitarbeiter*innen der Suchthilfe und Angehörigen nicht nur sehr wertschätzend, sondern auch äußerst dankbar. Auch über Ihr Angebot der Unterstützung freuen wir uns sehr und bleiben im Gespräch. Durch die vielen Pressevertreter*innen vor Ort konnten wir mit unseren Forderungen in diesem Jahr zudem auch hohe mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Und so bleibt am Ende der Veranstaltung wieder einmal die Hoffnung, dass unser Apell an die bayerische Staatsregierung vielleicht doch noch irgendwann einmal Gehör findet.
Vanessa Cramer, stellvertretende Einrichtungsleitung Kontaktladen limit, Condrobs e.V. Gerhard Schützinger, Öffentlichkeitsarbeit, Condrobs e.V.

BONN
Deshalb haben wir dieses Jahr Medaillons/Amulette verteilt, so dass die Community hier ein Bild einer verstorbenen Freundin oder Angehörigen und eines verstorbenen Freundes oder Angehörigen einfügen konnte. Diese Idee kam sehr gut in der Szene an.
Das Projekt „Berlin Mitte – Stadt für Alle“ von Fixpunkt e.V., beging den diesjährigen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen am Leopoldplatz. In enger Zusammenarbeit mit dem sozial-ökologischen Gemeinschaftsgarten himmelbeet, war es ein Zusammenfinden des Protestes, der Aktion und der Trauer mit vielen Kooperationspartner*innen im Kiez.
Passend zum Motto des Gedenktages, „Wohnraum, soziale und medizinische Hilfen müssen ein Menschenrecht sein“, war die Verdrängung am Leopoldplatz eines der bestimmenden Themen der Veranstaltung. So wie die jeweils dort angesiedelten himmelbeet sowie Drogen- und Suchtberatungsstelle Frauenladen in kürze davon betroffen sein wird, kam es bereits im Juni zu einer Räumung von Schlaflagern obdachloser, drogenkonsumierender Menschen im Kiez. Letztere trifft die Verdrängung aufgrund des brüchigen Hilfesystems, von mangelnden passenden Notschlafstellen sowie der repressiven Drogenpolitik besonders hart. Dabei zeigten andere Länder schon längst, dass es bspw. Heime und Notübernachtungen geben kann, in welcher der Gebrauch von illegalisierten Substanzen möglich ist. So z.B. die Mentlvilla in Innsbruck, Österreich. Dieser Ansatz wurde in Berlin zwar aufgrund der Corona-Krise diskutiert, aber nicht umgesetzt.
Im Rahmen des Internationalen Gedenktages organisierte die I.G.edenkstein Leipzig – eine Initiative von Angehörigen, Freund*innen, (ehemaligen) Konsument*innen und Sozialarbeiter*innen – jährlich am 21. Juli Veranstaltungen, um der Menschen zu gedenken, die an ihrem Drogenkonsum oder dessen Folgen verstorben sind. Den Akteur*innen war es ein wichtiges Anliegen, einen festen Ort zu schaffen, um an die Betroffenen zu erinnern und der den Angehörigen einen Platz und Zeit für ihre Trauer bietet. Zu diesem Zweck arbeitete die I.G.edenkstein seit über fünfzehn Jahren darauf hin, einen Gedenkstein für diese Menschen zu errichten.
Durch Benefizaktionen am jährlichen Gedenktag konnten in den vergangenen Jahren Spenden zur Finanzierung des Steines eingeworben werden. Mit Hilfe eines Steinmetz wurden Ideen für den Gedenkstein entwickelt und umgesetzt.
In seinem Grußwort betonte der Sozialbürgermeister Prof. Dr. Thomas Fabian: „Mit der Errichtung eines Gedenksteins in Leipzig wurde nun nicht nur ein Ort der Erinnerung und der Trauer geschaffen, sondern auch ein „Stein des Anstoßes“. Der Stein soll und wird uns zum Nachdenken anstoßen über unseren Umgang mit konsumierenden und drogenabhängigen Menschen. Sie verdienen gesehen und beachtet zu werden.
Auch in diesem Jahr war das Spandauer Projekt Spax von Fixpunkt e. V. in Kooperation mit der Luthergemeinde mit einer Gedenkveranstaltung auf der Straße. Rund um den im letzten Jahr gepflanzten Gedenkbaum am Lutherplatz trafen sich am 21.07. ca. 40 Personen. Mit dabei auch einige Gesichter aus dem Gemeinwesen, der Drogenhilfe und dem Bezirksamt. Pfarrer Karsten Dierks und Spax-Mitarbeiter*innen teilten sich die Redebeiträge.
Am 21. Juli wurde in der DroBel – Lehrte (Fachstelle für Sucht und Suchtprävention) der internationale Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen veranstaltet. Bei schönstem Sonnenschein organisierte das JES Selbsthilfe-Hofprojekt ein Gedenken an Freunde, Verwandte und Kollegen, die dem illegalen Konsum erlagen. Musikalische Begleitung stimmte mit Gesang und Gitarre auf das emotional stark belastende, traurige Thema ein.
Durch die Corona-Pandemie förmlich ausgehungert, an Möglichkeiten der Zusammenkunft, stellte der diesjährige Gedenktag einen besonderen Rahmen dar, der dankbar von etwa 30 Teilnehmenden angenommen wurde. Insgesamt war es ein würdiges, gelungenes Gedenken an die vielen Verstorbenen.
Der Internationale Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen hat in der Ahlener Königstr. 9 eine lange Tradition, Aidshilfe und Suchthilfe begehen diesen Tag gemeinsam. Das vielen mittlerweile bekannte blaue Plakat mit mehr als 120 Namen von verstorbenen drogenkonsumierenden Menschen aus dem Kreis Warendorf, hing mit einigen Namen der in 2019 Verstorbenen am Haus der Beratungsstellen
Um in diesem Jahr unter Corona-Bedingunen ein gemeinsames Gedenken zu ermöglichen und die Öffentlichkeit auf die Bedürfnisse von Drogengebrauchenden aufmerksam zu machen, musste ein neues Veranstaltungsformat gefunden werden. So entstand die Idee zu einem Gedenkweg, der mit 10 Stationen die Beratungsstellen in der Königstraße 9 mit dem Bahnhof verbindet. Die Namen verstorbener Drogengebraucher*innen wurden auf einzelne Steine übertragen. An mehreren Öffnungstagen bestand für drogengebrauchende Menschen, die das Kontaktfenster der Drogenberatung nutzten, die Möglichkeit, eigene Gedenksteine zu gestalten. Zudem wurden 10 Hinweissteine angefertigt, sowie 10 Informationsseiten, die unter anderem auf den Gedenktag und die daran gebundenen Forderungen, den Ärztemangel in der Substitutionsversorgung sowie Naloxon und Drugchecking als lebensrettende Maßnahmen aufmerksam machten.
Mit diesen Materialien und Gedenklichtern wurden am 21. Juli 10 Gedenkstationen auf dem Weg zwischen den beiden Beratungsstellen in der Königstraße 9 und dem Ahlener Bahnhof gestaltet. Zwischen 10 und 15 Uhr war es allen möglich, hier gemeinsam oder alleine im Stillen zu gedenken, sich zu informieren, und als Zeichen des Verlustes oder der Solidarität eigene Steine hinzuzufügen.

FRANKFURT
Einige schreiben die Namen von Verstorbenen mit Kreide auf den Boden, daneben liegen Kreuze, Grablichter und weiße Rosen. Bianka Weil, Sozialarbeiterin im La Strada, einem Drogenhilfezentrum der AHF, liest 28 Namen und Altersangaben vor. Es sind die Namen derjenigen, die seit dem 22. Juli 2019, dem letztjährigen Gedenktag, an den Folgen ihres Drogenkonsums in Frankfurt gestorben sind. Viele von ihnen waren gerade mal in ihren 30ern.
Vor dem La Strada in der Mainzer Landstraße und vor der Einrichtung K9 in der Karlsruher Straße hängen riesige Banner mit der Aufschrift „Wir trauern um alle Drogentoten – 21. Juli – Gedenken und Protest“.
Seit Monaten wird über die Situation im Bahnhofsviertel diskutiert. Es gab eine Resolution von Gastronomen und Gewerbetreibenden, die sich beschwerten, dass sich Drogenabhängige seit Corona im Viertel stark ausgebreitet hätten und wesentlich aggressiver geworden seien. Daraufhin verstärkte die Polizei ihre Präsenz. „In unserer Einrichtung merken wir davon wenig“, sagt Patrizia M. Seit zwei Jahren arbeitet sie als studentische Hilfskraft im La Strada, das etwas außerhalb des Bahnhofsviertels liegt. „Aber ich bekomme mit, dass die Drogenkonsumenten sich von der Polizei eingeschüchtert fühlen. Das verursacht Stress.“





Martin, den alle nur Dixi nannten, war ein Mann, der immer ein offenes Ohr für seine Mitmenschen hatte. Einer, der mit seiner ruhigen, zurückhaltenden Art stets positiv auffiel. Dixi, der viele Jahre suchtmittelabhängig war, ist tot: er starb im Januar im Alter von 53 Jahren – eines natürlichen Todes.* Nicht nur um ihn trauerten rund 80 Teilnehmer*innen am Internationalen Drogentotengedenktag am Mahnmal im Dortmunder Stadtgarten.
Den Drogentoten zum Gedenken. Foto: Alex Völkel
Wie in vielen anderen Städten wird es auch in Stuttgart einen Gedenktag in „reduzierter“ Form geben. Auch in Stuttgart gibt es mit einem Gedenkbaum einen Ort des Gedenkens. Die Veranstaltung wird aber dieses Jahr vor der Leonhardskirche stattfinden. Wie immer hat sich das Stuttgarter Aktionsbündnis viel Arbeit gemacht um einen tollen Gedenktag- auch unter den Bedingungen von Corona – zu realisieren.
Auch das Orgateam des Gedenktages in Berlin 2020 bestehend aus DAH, BAH, Notdienst, FIXPUNKT, BerLUN und JES Berlin hatte dieses Jahr durch Corona einige Hürden zu überwinden. Nach den ersten Vorbereitungstreffen hatten wir uns geeinigt, einen digitalen Gedenktag zu veranstalten. Als erstes musste unsere Webseite www.jesberlin.de dafür fertiggestellt werden. Da Demonstrationen aber nicht verboten wurden, haben wir uns im letzten Moment doch für eine Veranstaltungen am Kottbusser Tor entschieden.
Antje Matthiesen vom Notdienst ging in ihrer Rede darauf ein, dass im Rahmen von Corona einiges positive möglich gemacht worden ist. In ihrem Redebeitrag ging sie aber auch auf die 16 Menschen ein, die sie im letzten Jahr verloren haben. Philine für #mybrainmychoice hält die Drogenpolitik für fahrlässig und fordert in einer „Petition für eine grundliegend neue Drogenpolitik“ eine Allianz aus Betroffenen Gruppen und Personen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Markus Bernhardt sprach stellvertretend für MdB Frau Gabelmann (DIE LINKE). Er betonte, dass die Rettung von Menschenleben und deren Grundrechte wichtiger sind, als die eigenen Ideologien der Entscheidungsträger und ihrer Parteien. Auch André vom Knastschaden § Kollektiv setzte sich für die Endkriminalisierung des Drogenkonsums ein. Er erinnerte an den „Gedenktag für Verstorbene im Knast“ am 18. Oktober.
Zwischen den Reden gab es immer wieder Musik von Grog Grogsen und den Die Lalas, die den Song von Queen WE WILL ROCK YOU zum heutigen Thema ins Deutsche umgeschrieben hatten. Bernd und Martina (JES) moderierten die Veranstaltung und es lief, bis einen kleinen Schnapper durch einen Hund, durchweg harmonisch. Torsten hatte die geliehene Anlage fest im Griff und sorgte außerdem stets für desinfizierte Mikrofone.
Der diesjährige Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher gestaltete sich in Köln anders als in den vorherigen Jahren. Corona verhinderte, dass wir das Gedenken am Rudolf Platz stattfinden lassen konnten. Um 12 Uhr war der Andrang vor dem Eingang von Vision bereits groß und bis 16 Uhr erschienen auf dem Außen Gelände von Vision 140 Gäste und beginnen gemeinsam mit uns den Gedenktag. Neben der Gestaltung von bunten Gedenksteinen, die eine Steinkette um unseren Gedenkbrunnen bilden soll, gab es auch eine emotionale Gedenkminute. Mit der Hintergrundmusik von Pink Floyd schrieben alle Gäste ihre Wünsche und Gedanken auf Pyropapier und verbrannten diese anschließend in einer Feuerschale.