HAMBURG

Mahnwachen im Schwarzenbergpark vor dem Museum für Kunst & Gewerbe

Am 21.Juli gab es in Hamburg zwei Mahnwachen, im Schwarzenbergpark in Harburg und in St.Georg vor dem Museum für Kunst & Gewerbe. Wir haben uns dieses Jahr für eine eigene Mahnwachen in Harburg entschieden da im letzten Jahr viele Drogengebrauchende verstorben sind, welche teilweise Jahrzehnte lang das Abrigado aufsuchten und sie viele Kontakte in die Szene und zu den Mitarbeitenden hatten.

Für Hassan, Luigi, Matze, Moses Luigi und Matze

„…1581 Menschen verstarben durch den Konsum illegalisierter Substanzen. Noch viel mehr starben an der Drogenpolitik. Auch Hassan, Luigi, Matze und Moses um die wir heute im Besonderen trauern und an die wir uns erinnern wollen, sind nicht an einer Überdosis verstorben, sondern an den Bedingungen unter denen sie leben mussten.

So ist die Forderung des heutigen Tages eine individuelle Substitution und Take-Home für alle die es brauchen. Auch der Abbau der Hürden zur Diamorphinbehandlung ist längst überfällig und generell gilt für alle Hilfeleistungen: Unabhängig von Aufenthaltsrecht, Krankenversicherung und dem Anspruch auf Transferleistungen haben alle Hilfsbedürftigen einen Anspruch auf Zugang zum Hilfesystem.  Auch denen, um die wir heute trauern, wäre dann vermutlich ein längeres Leben möglich gewesen. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie Überlebenswichtig das uneingeschränkte Angebot der niedrigschwelligen Drogenhilfe ist. Oft genug ist dies aufgrund der nicht-bedarfsgerechten finanziellen und personellen Ausstattung der Einrichtungen nicht möglich. So fordert die Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen eine ausreichende und verlässliche Absicherung der Angebote der niedrigschwelligen Drogenhilfe und deren Ausbau.“

Für eine Trauerrede konnten wir Kerstin Artus nebenberuflich Trauerrednerin gewinnen. 

Trauer neben Tränen und Verzweiflung, besteht auch aus Widerständigkeit.

Sie entsprach unserem „…Wunsch, der Trauer um Moses, Hassan, Luigi und Matze Raum zu geben. Sie sind seit Beginn der Pandemie verstorben. Sie fehlen. Fehlen Euch, den Sozialarbeiter*innen. Fehlen Euch, Ihr, die hier einen Ort findet, an dem Ihr willkommen seid. Miteinander sein könnt. In dieses Miteinander hat der Tod der vier Weggefährten eine Lücke gerissen.

Und später bringt sie es in ihrer bewegenden Trauerrede auf den Punkt, indem sie auf die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Missstände hinwies:

„Ihr hier wisst, dass der Tod von Moses, Hassan, Luigi und Matze kein Schicksal gewesen ist. Sie sind nicht alt geworden und nicht gestorben, weil es keine Alternativen gegeben hätte. Es sind die Umstände gewesen, die ihre frühen Tode verursacht haben. Und das macht traurig und wütend. Ein Großteil der Gesellschaft sieht Süchtige nicht als chronisch Erkrankte. Und ihre Lebensumstände nicht als Folge von Stigmatisierung, zu knappen Angeboten und Hilfeleistungen, und dem Leben auf der Straße. Daher darf die Trauer neben Tränen und Verzweiflung, auch aus Widerständigkeit bestehen. Und deswegen ist der 21. Juli bedeutsam. Er mahnt, auch vor dem Hintergrund der Pandemie und den dadurch verschärften prekären Lebensverhältnissen, dass es umsetzbare Vorstellungen gibt, die ein besseres Leben ermöglichen würden. So dass es einerseits Hoffnungen und Wünsche für Moses, Hassan, Luigi und Matze gibt, dass es ihnen nun bessergehe, dort, wo sie sich jetzt befinden. Und es sich zum anderen lohnt, sich dafür einzusetzen, dass sich die Bedingungen für die Lebenden endlich verändern.“

Dann wurden Murmeln verteilt, die jeweils für eine Erinnerung stehen können. Das Lied „Skinny Love“ bot die Gelegenheit eines stillen Gesprächs mit denen die man vermisst oder für ein Gebet.

 

Das Hamburger Abendblatt fasste es, unter anderem, so zusammen: „Juri, Marion, Rebecca – gut drei Dutzend Namen hängen an einem Baum auf dem Schwarzenberg. Die Menschen, die diese Namen bezeichnen, sind tot. Sie gehören zu den 76 Hamburger Drogentoten des Jahres 2020. Bundesweit waren es 1581. Die Besucher und Mitarbeiter der Drogenhilfeeinrichtung Abrigado haben den Zahlen Namen gegeben.

Urs

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NDR Beitrag


Mahnwache in Hamburg-St. Georg

Unter dem Motto „Du fehlst“ haben wir am 21. Juli 2021 in St. Georg vor dem Museum für Kunst und Gewerbe gemeinsam mit Besucher*innen des ragazza, Angehörigen, Freund*innen und Kolleg*innen der Landesstelle für Suchtfragen e.V. und des Deutschen Hanfverbands – Ortsgruppe Hamburg verstorbener Drogengebraucher*innen gedacht und gleichzeitig auf die negativen Auswirkungen des Drogenverbots und der Repression aufmerksam gemacht.

Dabei erinnerten wir mit kleinen Kerzen an die Menschen, die in den letzten Jahren von uns gegangen sind und die wir sehr vermissen. Wie jedes Jahr war der 21. Juli ein Tag mit zweierlei Bedeutung. Er ist ein Tag der Trauer und des Gedenkens: 76 Menschen sind in diesem Jahr in Hamburg unter den Bedingungen einer verfehlten Drogenpolitik gestorben. Einige davon waren Besucherinnen unserer Einrichtung. Wir haben mit ihnen gelacht und geweint! Wir trauern um sie und wir vermissen sie.

Gleichzeitig ist der 21. Juli aber auch ein Tag der politischen Aktion und des Protestes: So fordern wir auch in diesem Jahr wieder eine Menschwürdige Drogenpolitik, eine Entkriminalisierung von Konsument*innen und eine bedarfsgerechte Finanzierung von insbesondere niedrigschwelligen Überlebenshilfeangeboten.  In diesem Jahr haben wir den Gedenktag auch dazu genutzt, an Barbara Charlotte Smith zu erinnern, die am 30.09.2020 verstorben ist. Barbara war dieser Tag ein besonderes Herzensanliegen: ihr Sohn Peter war 1988 an einer Überdosis Heroin verstorben und Barbara engagierte sich seitdem politisch für eine Veränderung der herrschenden Drogenpolitik. Sie organisierte jahrelang im Rahmen verschiedener Elterninitiativen die Veranstaltungen zum Gedenktag in Hamburg und setzte sich politisch für die Methadonvergabe und die Einrichtung von Konsumräumen ein.

Auf ihrer Trauerfeier wurde auf Barbaras Wunsch für die Ausrichtung des Internationalen Gedenktages und der Mahnwache durch ragazza e.V. gespendet. Dafür und besonders für Barbaras Engagement, ihren Mut und ihre Tatkraft möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken. Schließen möchten wir deshalb in diesem Jahr mit den Worten: Lebwohl, Barbara.

Svenja Korte-Langner für ragazza e.V.